Mutterschutz - Kündigung
1. Allgemein
Die Kündigung gegenüber einer Frau im Mutterschutz ist gemäß § 17 MuSchG unzulässig. Dabei besteht dieser Kündigungsschutz während folgender Zeiträume:
Beginn des Kündigungsschutzes:
280 Tage vor dem ärztlich festgestellten Entbindungstermin (BAG 24.11.2022 - 2 AZR 11/22)
Bei In-vitro-Fertilisation: ab Einsetzen einer befruchteten Eizelle in Gebärmutter (BAG 26.03.2015 - 2 AZR 237/14)
Kenntnis von der Schwangerschaft:
Wenn dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung die Schwangerschaft nicht bekannt war, ist die Kündigung auch dann unwirksam, wenn die Schwangerschaft dem Arbeitgeber innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Das Überschreiten dieser Frist ist unschädlich, wenn die Überschreitung auf einem von der Frau nicht zu vertretenden Grund beruht und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird.
Beispiel:
"Soweit die schwangere Arbeitnehmerin die Mitteilungsfrist unverschuldet versäumt hat, liegt ein die Unverzüglichkeit der Nachholung der Mitteilung nach § 17 Abs. 1 Satz 2 MuSchG ausschließendes Verschulden nicht darin, dass sie ihre Schwangerschaft dem Arbeitgeber nicht unmittelbar, sondern im Rahmen eines Schriftsatzes in einem Kündigungsschutzprozess mitteilt (...). Die Mitteilung hat dem Arbeitgeber gegenüber zu erfolgen. Aber auch bei einer dem Gesetz entsprechenden Sachbehandlung eingehender Schriftsätze durch das Arbeitsgericht ist gewährleistet, dass der Arbeitgeber innerhalb angemessener Frist von der Schwangerschaft Kenntnis erlangt" (BAG 24.11.2022 – 2 AZR 11/22).
Hat die Arbeitnehmerin ohne Kenntnis der Schwangerschaft selbst gekündigt, kann sie die Erklärung nach der Entdeckung der Schwangerschaft nicht anfechten.
Ab der Geburt:
Bis zum Ende der individuellen Schutzfrist, mindestens jedoch bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung.
Als Entbindung gelten neben der normalen Geburt folgende Tatbestände:
Eine Frühgeburt ist gegeben, wenn das Kind ein Gewicht von weniger als 2.500 Gramm hat oder körperliche Anzeichen vorhanden sind, die darauf schließen lassen, dass das Kind bei der Geburt noch nicht voll ausgereift war. Eine Frühgeburt liegt zudem vor, wenn das Kind wegen der verfrühten Beendigung der Schwangerschaft einer erhöhten Pflege bedarf. Eine Frühgeburt gilt als Entbindung. Bei Mehrlingsgeburten ist das Gewicht des schwersten Kindes entscheidend.
Eine Totgeburt liegt vor, wenn es bei der Geburt kein Lebenszeichen gegeben hat und ein Gewicht von 500 Gramm bis 2.500 Gramm erreicht wurde. Eine Totgeburt gilt als Entbindung.
Bei einer Fehlgeburt:
Bis zum Ablauf von vier Monaten nach einer Fehlgeburt, sofern diese nach der zwölften Schwangerschaftswoche eingetreten ist
Gemäß § 17 Abs. 1 S. 3 MuSchG sind während dieser Zeiträume auch Vorbereitungsmaßnahmen des Arbeitgebers zur Vorbereitung einer Kündigung nach dem Ende der Schutzfristen unzulässig.
2. Voraussetzungen
Es bestehen folgende Voraussetzungen:
Die Schwangerschaft muss zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bestehen.
Sofern der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung keine Kenntnis von der Schwangerschaft hat: Die Arbeitnehmerin hat nach dem Zugang der Kündigung, zwei Wochen Zeit, den Arbeitgeber über ihre Schwangerschaft zu informieren.
Darüber hinaus kann die Kündigung auch nach der Zwei-Wochen-Frist nachträglich unwirksam werden, wenn das Nichteinhalten der Zwei-Wochen-Frist auf einem von der Arbeitnehmerin nicht zu vertretenden Grund beruht und die Mitteilung der Schwangerschaft nach dem Wegfall des Grundes unverzüglich nachgeholt wird. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines besonderen Grundes hat die Arbeitnehmerin.
Die Fristüberschreitung ist von der Schwangeren dann zu vertreten, wenn sie auf einen gröblichen Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse billigerweise zu erwartende Verhalten zurückzuführen ist (Verschulden gegen sich selbst). Dabei kommt es nicht darauf an, durch welchen Umstand die Schwangere an der Fristeinhaltung gehindert ist, sondern darauf, ob die Fristüberschreitung im genannten Sinne schuldhaft oder unverschuldet ist.
Einen solchen gröblichen Verstoß stellt es nicht dar, wenn die Schwangere die Bescheinigung über die Schwangerschaft mit normaler Post an den Arbeitgeber versendet und der Brief dann aus ungeklärter Ursache verloren geht. Mit einem Verlust des Briefes auf dem Beförderungswege muss die Schwangere nicht von vornherein rechnen (BAG 16.05.2002 - 2 AZR 730/00). Noch nicht gerichtlich geklärt ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine schwangere Frau, nachdem sie die Mitteilung über die Schwangerschaft mit einfacher Post an den Arbeitgeber gesandt hat, sich nach dem Verbleib der Mitteilung durch Nachfrage beim Arbeitgeber erkundigen muss.
Beispiel:
Geht der urlaubsbedingt abwesenden Mitarbeiterin (zulässigerweise) eine Kündigung zu und informiert sie den Arbeitgeber unmittelbar nach der Rückkehr aus dem Urlaub über ihre Schwangerschaft, ist die Überschreitung der Zwei-Wochen-Frist durch die urlaubsbedingte Abwesenheit als unverschuldet anzusehen, auch wenn der Arbeitnehmerin die Schwangerschaft bereits einige Wochen vor dem Urlaubsantritt bekannt war.
Gemäß § 5 S. 2 KSchG kann eine Frau auch nach dem Verstreichenlassen der dreiwöchigen Klagefrist noch Klage erheben, wenn sie aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst nach dem Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist von ihrer Schwangerschaft Kenntnis erhält.
3. Erlaubnis der Kündigung durch die Aufsichtsbehörde
Auf Antrag des Arbeitgebers kann die zuständige Behörde gemäß § 9 Abs. 3 MuSchG in besonderen Fällen die Kündigung für zulässig erklären. Zuständige Behörden sind:
Baden-Württemberg | Regierungspräsidien |
Bayern | Gewerbeaufsichtsämter der Bezirke |
Berlin | Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheits- schutz und technische Sicherheit |
Brandenburg | Landesamt für Arbeitsschutz |
Bremen | Gewerbeaufsichtsämter |
Hamburg | Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz, Amt für Arbeitsschutz |
Hessen | Regierungspräsidien |
Mecklenburg-Vorpommern | Landesamt für Gesundheit und Soziales, Abteilung Arbeitsschutz |
Niedersachsen | Gewerbeaufsichtsämter |
Nordrhein-Westfalen | Ämter für Arbeitsschutz |
Rheinland-Pfalz | Struktur- und Genehmigungsdirektion, Gewerbeaufsicht |
Saarland | Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz |
Sachsen | Regierungspräsidien, Abteilung Arbeitsschutz |
Sachsen-Anhalt | Landesamt für Verbraucherschutz, Gewerbeaufsicht |
Schleswig-Holstein | Landesamt für Gesundheit und Arbeitssicherheit |
Thüringen | Thüringer Landesbetrieb für Arbeitsschutz und technischen Verbraucherschutz |
Diese für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle kann in besonderen Fällen, die nicht mit dem Zustand einer Frau während der Schwangerschaft oder ihrer Lage bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung in Zusammenhang stehen, ausnahmsweise die Kündigung für zulässig erklären. Die Erlaubnis muss vor Ausspruch der Kündigung vorliegen. Befindet sich die Arbeitnehmerin in Elternzeit, muss auch die Zulässigkeitserklärung nach § 18 BEEG vorliegen:
Ein besonderer Grund liegt vor, wenn außergewöhnliche Umstände das Zurücktreten der Interessen der Schwangeren hinter die des Arbeitgebers des Mutterschutzes rechtfertigen.
Beispiel:
Betriebsschließung oder sonstiger Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit, Straftaten der Arbeitnehmerin
Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses muss für den Arbeitgeber unzumutbar sein. Personenbedingte Gründe können im Allgemeinen kein Grund sein, der Kündigung zuzustimmen.
Die in dem Abschnitt 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Kündigungsschutz bei Elternzeit (BEEGKSchVwV) aufgeführten Beispiele für besondere Gründe können entsprechend herangezogen werden.
Die Zulässigkeitserklärung muss im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vorliegen, aber noch nicht bestandskräftig sein.
Die Kündigung muss (anders als bei einer "normalen" Kündigung den zulässigen Kündigungsgrund angeben.
4. Kündigung vor Arbeitsantritt
Der Arbeitgeber ist berechtigt, dass Arbeitsverhältnis nach dem Abschluss des Arbeitsvertrages jedoch vor dem Arbeitsbeginn des Arbeitnehmer wieder zu kündigen. Dabei hat das BAG jetzt klargestellt, dass das Kündigungsverbot gegenüber einer schwangeren Arbeitnehmerin gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG auch für eine Kündigung vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme gilt (BAG 27.02.2020 - 2 AZR 498/19).
Urlaub - Elternzeit und Mutterschutz
Richter/Kirchbach: Ein Streifzug durch das neue Mutterschutzgesetz; Arbeitsrecht Aktuell - ArbR 2017, 293
Roos/Bieresborn: MuSchG - BEEG: Mutterschutz - Elterngeld - Elternzeit; Kommentar; 3. Auflage 2023